Die Szene lebt von den Menschen, die sich engagieren. Der Underground wird durch diese Individuen sogar besonders geprägt und geformt. Heute wollen wir euch eine dieser Personen in Gestalt von Raf vorstellen: eine Ein-Mann-Armee. Reviewer, Veranstalter, Tour-Manager, Labelchef und Die Hard-Fan. Wenn er nicht gerade in der ersten Reihe irgendwo in Europa ein Konzert genießt, heckt er mit Sicherheit gerade schon den nächsten Coup d’Etat aus. Normal kann jeder, hier kommt Raf!
UG: Stell dich doch bitte mal kurz vor.
Raf: Vorstellungen fallen mir immer schwer, ich versuch es aber mal. Ich bin 35 Jahre alt und höre nun seit ziemlich genau 20 Jahren Heavy Metal. Dabei hat sich mein Geschmack immer tiefer in den Underground, vor allem Hin zum traditionellen Heavy Metal, Epic Metal und Doom verschoben. In diesem bewege ich mich seit nunmehr gut einer Dekade am meisten. Spätestens seit meinem ersten Besuch auf dem Keep It True Festival 2008 und dem Headbangers Open Air 2009. Über die Jahre bin ich in dieser, doch sehr überschaubaren Szene immer aktiver geworden, reise zu vielen Festivals, auch im Ausland, besuche Konzerte, organisiere Konzerte und veröffentliche seit diesem Jahr auch Platten. Wenn ich das alles nicht tue, promoviere ich in Marburg in Religionsphilosophie. Ich bin mir nicht sicher, ob ich das hier auch noch erwähnen sollte, da es eher keine Rolle spielt, aber der Vollständigkeit halber: Ich bin blind.
UG: Wer dich schon einmal bei einem Konzert getroffen hat, erlebt puren Enthusiasmus. Wie viele Konzerte hast du dieses Jahr schon besucht und was war dein persönliches Highlight?
Raf: Oh, das ist eine wirklich gute Frage, ich bin mir nämlich nicht mehr ganz sicher. Mit Festivals und Konzerten, die ich mitorganisiert habe, dürften es locker 50 gewesen sein, wenn nicht sogar noch mehr. Am beeindruckendsten war dieses Jahr auf jeden Fall Jethro Tull im Amphitheater Herodeon in Athen, zu dem ich eher zufällig kam. Ich war eigentlich in Athen, um mit ein paar griechischen Freunden Manowar zu sehen und meine Freunde von Battleroar zu unterstützen, die deren Show eröffnen durften und habe zufällig erfahren, dass Jethro Tull am nächsten Tag im Amphitheater spielen und dass es noch Tickets gibt. Also bin ich da einfach auch noch hingegangen und es war eine tolle Show mit einzigartiger Atmosphäre.
UG: Klingt geil! Beschreib doch in zwei bis drei kurzen Sätzen, was du so alles tust, wenn du nicht gerade selber ein Konzert besuchst.
Raf: Also neben meinem Studium, das natürlich am Wichtigsten ist, schreibe ich Rezensionen für www.powermetal.de, habe ein kleines Label gegründet, organisiere mit Bifroest-Kulturförderung in Marburg Konzerte, helfe befreundeten Bands mit dem Buchen und organisieren von Europatouren oder suche weitere Projekte, falls mir mal langweilig werden sollte.
UG: Anscheinend war dir mal langweilig, denn du steckst auch hinter dem "Riddle of Steel"-Festival. Was verbirgt sich dahinter?
Raf: Das "Riddle Of Steel" ist ein eintägiges Hallenfestival in Marburg mit einem Fokus auf Epic Metal, vor allem aus mediterranen Gefilden. Das Ganze ist eher aus Versehen entstanden. Vor vielen Jahren habe ich auf dem Weg zum ersten Magic Circle Festival ein paar Leute aus Kanada, Italien und Australien kennengelernt und daraus hat sich eine Freundschaft entwickelt, die bis heute Bestand hat. Als dann Manowar für das Jahr 2017 ihre "Abschiedstour" ankündigten, entstand bei meinen Freunden die Idee, das zehnte Jubiläum unseres Treffens zu feiern, indem wir nochmals gemeinsam ein Manowar-Konzert besuchen, auch wenn wir uns musikalisch eher wenig davon versprachen. Da das Konzert in Frankfurt an einem Freitag stattfand und die Jungs aus Kanada und Australien anreisten, dachte ich, ich könnte ja für den Samstag noch ein Konzert in Marburg auf die Beine stellen, so dass wir eben noch etwas mehr zu feiern hätten. Also hab ich ein paar befreundete Bands angeschrieben und gefragt, ob sich eine davon vorstellen könnte, an besagtem Termin in Marburg zu spielen. Nach einem Wochenende hatte ich bereits Zusagen von sieben Bands und so war aus dem kleinen Konzert quasi über Nacht ein Festival geworden. Nachdem das erste Jahr bei den Besuchern so gut ankam, haben wir beschlossen, das ganze 2018 nochmal zu machen und nachdem die Publikumsreaktion erneut super war, haben wir auch für dieses Jahr wieder ein "Riddle Of Steel" auf die Beine gestellt.
Was mir persönlich bei diesem Festival wichtig ist, ist es, Bands eine Chance zu geben, die auf den üblichen Festivals, die sonst den traditionellen Underground abdecken, eher keine Rolle spielen. Außerdem möchte ich vor allem aktiven und jüngeren Bands buchen, da größere Festivals aus verschiedenen Gründen viel auf etablierte Namen und Re-Unions alter Kultbands setzen. Aber wenn diese Bands einmal nicht mehr auftreten können, fehlt vielen Nachwuchsbands einfach die Festivalerfahrung, die Jahre, in denen sie sich langsam zu potentiellen Festivalheadlinern hätten entwickeln können, wenn sie nicht die Chance bekommen, auf Festivals zu spielen. Diese Chance möchte ich mit dem "Riddle Of Steel" bieten.
UG: Und das funktioniert ja auch. Die 2019er Ausgabe des „Riddle“ ist ausverkauft. Wie kam es denn überhaupt dazu, dass du selber Konzerte organisierst?
Raf: Auch das war eher ein Zufall. Vor ein paar Jahren, ich glaube so um 2013 herum, schrieb mich Manuel Trummer von „Atlantean Kodex“ an und fragte, ob ich vielleicht helfen könnte, für „Argus“ aus den USA ein Konzert in Marburg zu organisieren. Ich habe die Band damals an das alternative Kulturzentrum Trauma vermittelt, die das Konzert dann veranstaltet haben. Als „Argus“ dann wieder auf Tour gingen, 2016 müsste das gewesen sein, haben sie mich direkt angehauen und ich habe dann, ohne die geringste Ahnung vom Veranstalten zu haben, die Show organisiert. Als lokale Band habe ich die damals noch ziemlich unbekannten „Lunar Shadow“ eingeladen, weil ich mit einigen der Musiker befreundet war und so nahm das alles seinen Lauf. „Argus“ haben dann „Apostle Of Solitude“ an mich verwiesen und so kam eins zum anderen. Im Sommer 2016 bin ich dann auch Bifroest Kulturförderung beigetreten, was das Organisieren von Konzerten bedeutend erleichtert hat.
UG: Apropos US-Bands: Unter anderem warst du mit den „Megacolossus“ und „Lords of the Trident auf Tour“? Wie kam es dazu, dass du als Tourmanager mit Bands auf Tour gehst?
Raf: Wie so vieles in meinem Leben war auch das eher ein Zufall und meine Angewohnheit, nicht nein sagen zu können. Ich war schon seit ihrem Debüt "...And The Rift Of The Pan-Dimensional Undergods", das noch unter dem Namen Colossus veröffentlicht wurde, ein Fan der Band und als das letzte Album "Hypergleive" erscheinen sollte, habe ich die Band angeschrieben, um ein Exemplar für eine Rezension zu bekommen. In der Konversation habe ich dann, ganz Fan, gefragt, wann die Jungs mal in Europa spielen und auf die Antwort hin, sie würden ja gerne, hätten hier aber keine Kontakte, habe ich ihnen angeboten, mal rumzufragen.
Naja, das klappte dann relativ gut und so hatte ich dann eine halbe Tour organisiert und die Band auch auf dem Harder Than Steel Festival 2017 untergebracht und als die Jungs mich dann gefragt haben, ob ich das ganze nicht als Tourmanager machen wolle, habe ich ja gesagt. Die Tour war ein kleiner Erfolg und daraus ist eine echte Freundschaft entstanden und als ich es dann geschafft habe, die Band an das diesjährige Hell Over Hammaburg und Up The Hammers zu vermitteln war klar, dass wir ein weiteres Mal gemeinsam auf Tour gehen. Über die Jungs ist auch der Kontakt zu „Lords Of The Trident“ entstanden, denen ich diesen Herbst eine erste Tour gebucht habe, um etwas Interesse in Europa zu wecken und den Release der Euro-Version ihres aktuellen Albums "Shadows From The Past" auf meinem Label zu promoten. Von der Tour bin ich jetzt grade zurückgekommen und hoffe nun, beide Bands in den nächsten Jahren an weitere Festivals zu vermitteln und die Touren weiter zu professionalisieren.
UG: Dein Label ist ein gutes Stichwort: Was dürfen wir uns unter "Rafchild Records" vorstellen?
Raf: Rafchild Records ist aus der Not geboren und dann recht schnell weit über meine Vorstellungen hinausgewachsen. Vor ein paar Jahren, ich glaube 2017, veröffentlichte die US-Band „Burning Shadows“ ihr bis dato letztes Album "Truth In Legend", allerdings gab es lange keine echte CD-Version, sondern nur eine auf CD-R, was viele Sammler erzürnte. Zu dieser Zeit kam zum ersten Mal bei mir die Idee auf, ein Label zu gründen, um die CD-Veröffentlichung, grade für Europa, einfach selbst in die Hand zu nehmen. „Burning Shadows“ haben das Album dann schlussendlich doch selbst auf CD veröffentlicht und so blieb die Idee erst mal in der Schublade liegen Ich hatte aber schon damals die Facebook-Seite für Rafchild Records angelegt, nur blieb sie halt leer.
Als dann dieses Jahr die Mega Colossus-Tour anstand und die Band eine neue EP "V" veröffentlichen wollte, war klar, dass es am meisten Sinn ergibt, diese in Europa zu pressen, da sie eben zur Europatour erscheinen sollte. Also habe ich der Band angeboten, mich darum zu kümmern. Da leider zu Beginn des Jahres die Posttarife verändert wurden, ist es für Privatpersonen ziemlich teuer geworden, CDs ins europäische Ausland zu verschicken, für Geschäftskunden der Post jedoch nach wie vor günstiger. Also lag es nahe, ein Gewerbe anzumelden, um "V" möglichst günstig an die Leute bringen zu können und so entstand Rafchild Records als echtes Label. Während der Tour mit „Mega Colossus“ brachte deren Basser die Idee auf, dass ich doch das neue Album "Space Nights" seiner anderen Band „Knightmare“ veröffentlichen könnte und über die Freundschaft mit beiden Bands kam der Kontakt zu „Lords Of The Trident“ zustande, deren Album "Shadows From The Past" ich im Juli mit zwei Bonustracks in Europa veröffentlicht habe.
Während ich die Tour für die Lords buchte, bot mir mein Freund Dario Beretta von „Crimson Dawn“, deren Konzert in Marburg wir mit Bifroest im Juni veranstalte hatten, ein Konzert in Mailand mit seiner anderen Band „Drakkar“ zu veranstalten. Dafür brauchten wir noch eine dritte, lokale Band und da ich „Wotan“ bereits für das diesjährige Riddle Of Steel gebucht hatte, fragte ich sie kurzerhand, ob sie die Show in Mailand spielen wollten. Die Band sagte direkt ja und fragte, ob ich nicht auch ihr neues Album "The Song Of The Nibelungs" auf meinem Label veröffentlichen wolle. Da habe ich direkt ja gesagt und wurde dann etwas überwältigt, da das Ganze ein Doppelalbum mit 109 Minuten Laufzeit ist, das nun auch auf 3LPs erscheinen wird. Mittlerweile habe ich dann auch von weiteren befreundeten Bands die Frage gestellt bekommen, ob ich nicht Musik von ihnen veröffentlichen möchte, so dass sich auch für nächstes Jahr einige interessante Projekte ankündigen. Ironischerweise fand die Veröffentlichung von "V" jedoch noch vorher statt, so dass die EP, wegen der das Label nun existiert, gar nicht auf dem Label erschienen ist. Dafür habe ich jetzt jedoch „Burning Shadows“, die der ursprüngliche Grund für meine Idee waren nicht nur auf dem Riddle Of Steel für ihren ersten Festivalauftritt in Europa, nein, sie werden ihre neue CD zum Festival auch auf Rafchild Records veröffentlichen und ich buche ihnen gerade eine Tour zwischen meinem Festival und dem Into Battle Festival in Athen, auf dem die Band ebenfalls spielt. So greift wieder einmal alles ineinander und ergibt irgendwie ein großes Ganzes, auch wenn ich das so nie geplant hatte.
UG: Da ist ja einiges in Bewegung. Aber du hast doch bestimmt schon wieder Ideen für neue Projekte?
Raf: Die Entwicklung mit dem Label und den Touren in den letzten Jahren ging extrem schnell, weshalb meine nächsten Projekte erst einmal sind, all diese verschiedenen Dinge zu professionalisieren und unter einen Hut zu bringen. Gerade im Booking und bei der Promotion kann ich noch vieles besser machen und bevor ich neue Dinge angehe, sollte ich hier erst einmal schauen, dass ich das, was ich machen möchte auch in einer Weise hinkriege, mit der ich selbst zufrieden bin. Zudem möchte ich meine Promotion endlich abschließen und beginne gerade, mit Rafchild Records nicht nur CDs, sondern auch Vinyl zu veröffentlichen. Damit sollte ich für das nächste Jahr locker genug zu tun haben, denke ich.
UG: Zum Abschluss noch unser Klassiker: Stell dir vor, du würdest dich mit dem Wissen von heute 2009 treffen können. Was würdest du deinem jüngeren Ich raten?
Raf: Ich würde ihm raten, noch früher aktiver Teil der Metalszene zu werden. Denn nur zu Konzerten gehen und Platten kaufen ist zwar wichtig, was gerade den kleineren Bands jedoch hilft und unsere Szene am Leben hält, sind die Leute, die Platten veröffentlichen, Konzerte organisieren und generell dafür sorgen, dass Bands ihre Musik zu den Fans bringen können, ob als Tonträger oder auf der Bühne.
UG: Danke für das Interview, Raf. Viel Erfolg bei allen Unternehmungen.
Das Interview führten Raphael von Rafchild Records und der Metalanwalt für Undergrounded.