Interview mit Noise (Kanonenfieber und Noisebringer Records)
Interview

Interview mit Noise (Kanonenfieber und Noisebringer Records)

Manchmal brechen Metalprojekte vollkommen unerwartet und wie wütende Panzer über die Lauf- und Schützengräben der Schlachtfelder herein. Sie spucken Tod und Vernichtung in die Welt und überrollen das zerfetzte Niemandsland, begraben verwesende Leichen im Schlamm und Stacheldraht unter sich und bezwingen selbst stärkste Bollwerke wie z.B. das neueste Release von Harakiri For The Sky.

  • von Ghostwriter
  • 26.02.2021


Auf Bandcamp und FB-Frequenzen empfingen wir die Signale des Panzers „Kanonenfieber“, der sich mit seinem Debüt-Landschiff „Menschenmühle“ erfolgreich an die Spitze der Bandcamp-Sales (DM/BM) gesetzt hat. Die Zeit für uns, den Kommandant von „Kanonenfieber“ zu einem kleinen Plausch zu Bitten. 


UG: Herr Kommandant, wie dürfen wir Sie ansprechen?

Noise: Vielen Dank für dieses anschauliche Intro! Dein Schreibstil schafft es hervorragend Bilder in den Kopf zu zaubern. Nenn mich einfach Noise. Pseudonyme sind im Black Metal ja Gang und Gebe, nicht wahr?

UG: Danke für das Grabgesteck und und nun denn, Noise, wo soll man da nur anfangen! Natürlich ist neben Pseudonymen auch die Anonymität im BM inzwischen fast schon usus geworden und sehr viel ist über Kanonenfieber nicht bekannt. Wieviel kannst und willst du unseren Lesern über dein Projekt erzählen - bzw. Zahlen, Daten Fakten?


Noise: Ich fange mal mit der Entstehung der Idee des Albums an. Ich saß mit einem guten Freund zusammen und wir haben ein bisschen über das Zeitgeschehen im Metal palavert. Mein Kumpel ist Hobby-Historiker und verfügt über ein riesiges Arsenal an Briefen, Texten und Wissen über den dreißigjährigen Krieg, sowie den ersten und den zweiten Weltkrieg musst du wissen. Ich erzählte ihm, dass ich vor habe ein Album zu schreiben, nur die Thematik dafür fehlte mir noch. Prompt sagte er, dass ich ein Album über den ersten Weltkrieg schreiben solle. Aber im Gegensatz zu dem, was der Markt bietet, solle es etwas anderes werden. Thematisch tiefgründiger, nicht glorifizierend und anpreisend, sondern so realitätsnah wie nur irgend möglich. Es solle nicht um Tod, Verwesung und sinnlose Brutalität gehen. Eher ein Andenken an die zahllosen Opfer der Sinnlosigkeit des Krieges. Wir kamen zum Schluss, dass nichts aufschlussreicher über die wahre Stimmung im Krieg ist, als das Schicksal einzelner Soldaten. Kein Feldbericht großer Kommandanten, die den Graben nie gesehen haben, sondern der einfache Füsilier, der tagein tagaus knietief im Matsch stand und jede Sekunde um sein Leben zu fürchten hatte. Wir entschieden uns dafür Briefe und Texte aus seiner Sammlung hierfür zu verwenden. Echte Geschichten über echte Menschen von echten Menschen. Mein Kumpel gab mir jede Menge Bücher und Materialien mit, die ich studierte, um mich nur ansatzweise in die Gefühlslage der Protagonisten zu versetzen.

 
UG: Das klingt für mich wie ein ziemlich solider Approach und nicht wie das gefühlt 100. Konzeptalbum über den ersten oder zweiten Weltkrieg welche so oft einfach nur, wie du schon sagtest, glorifizieren. Die Recherche wird einen Löwenanteil verschlungen haben?


Noise: Das war keine schöne Zeit für mich sag ich dir! Ich hatte nichts anderes mehr im Kopf als Krieg, Tod und Angst und das über Monate hinweg. Mit dieser Grundstimmung machte ich mich an das Songwriting und fing an erste Texte zusammen zu schreiben. Ich versuchte die Überlieferungen so detailgetreu wie möglich umzusetzen. Klar, einiges muss man abändern, um dem Text die richtige Struktur zu geben. Aber die Grundthematik und den Wortgebrauch habe ich nicht verändert. Ich habe viel über die besungenen Schicksale gelernt. Über deren Gefühlslage, ihre Ängste und ihre Träume. Und der Wunsch eines jeden dieser Soldaten war es, nach Hause zu kommen zu Frau und Familie und das normale, alltägliche Leben fortzuführen. Ohne Krieg, Hass und Tod. Es ist ein schönes Gefühl für mich, den Gefallenen auf meine Art ein Gedenken zu machen. Ich weiß nun mehr über manche dieser Männer, als deren eigene Nachfahren. Was tatsächlich traurig ist. 

UG: Auf einen Post zum Album habe ich auf meinem Profil einen Kommentar bekommen und will das in Auszügen zitieren: “Oh man. Ich liebe diese *dezente* Äußerung von Faszination für Krieg(smaschinerie). Nicht. Im Ernst, für mich gibt es kaum etwas Abstoßenderes. Beim Flüchtigen damit befassen wirkt das auf mich wie ein Haufen Militärfanatics, die halt "weil man das nicht darf" nicht den zweiten, sondern eben den ersten WK thematisieren. Und nun? Irgendeine Lehre aus der Musik? Irgendeine Erkenntnis?” Zitatende. Ich kann mir gut vorstellen dass diese “Kritik” häufiger kommen wird weil es ja auch die Fraktion: “Boah diese Kriegsverherrlichung im Metal geht mir auf den Sack”-Fraktion gibt. Aber was ist deine Meinung (oder Quintessenz dazu)?


Noise: Meine Antwort auf diese Aussage wird immer dieselbe sein. Krieg ist etwas schreckliches. Das habe ich spätestens im Prozess dieses Albums gelernt. Jeder der sich auch nur im geringsten mit „Menschenmühle“ auseinandergesetzt hat, wird meine Botschaft verstehen. Alleine das Artwork sollte Bände sprechen. Wenn man sich nicht die Zeit nimmt die Texte, meine Widmung und die Intention des Albums zu verstehen, dann fühle ich mich auch nicht in der Verpflichtung denjenigen aufzuklären. Ein rasches Urteil fällen, das kann jeder. Das Thema Krieg wird für mich persönlich nie ausgelutscht sein. Etwas so schreckliches darf nicht vergessen werden und ich habe mein bestes getan dem entgegen zu wirken. Die Aussage „ich darf den zweiten Weltkrieg nicht thematisieren“ kann ich nur mit den Worten „wartet mal ab“ bestreiten. Ich sehe mich nicht in der Position mich für die Texte oder die Thematik des Albums rechtfertigen zu müssen. Ich habe das ausschließlich zum Gedenken derer gemacht, die der Sinnlosigkeit des Krieges zum Opfer gefallen sind. 


UG: Harter Tobak indeed und ich kann mir gut vorstellen dass das Thema, wenn man sich diesem auf einer sehr persönlichen Ebene widmet, auch den Kreativprozess an beiden Ecken anzündet. Wie hat sich denn die Erstellung gestaltet und was mich auch interessieren würde, wie hat denn dein Hobby Historiker Kumpel auf das Werk nach dem ersten Hören reagiert?


Noise: Die Erstellung war relativ simpel. Ich habe das von mir gegeben, was mir in den Sinn kam. Hauptsache es entspricht dem Bild, dass ich in meinem Kopf trage. Das war die Herangehensweise. Tatsächlich sind ab September bis Ende November alle 9 Songs entstanden. Der technische Produktionsprozess, also Mixing und Mastering, hat dann noch knapp 1 1/2 Monate gedauert und dann wurde die erste CD Pressung geordert. Am 20ten Februar war es dann schließlich soweit und das Album erblickte das Licht der Welt über den Black Metal Promotion YouTube-Channel. Und zu meinem Erstaunen mit sehr, sehr guter Resonanz - Auch von meinem Mit-“Researcher”. Kurz, Ihm gefällt die Scheibe. Er kann mit dem Black Metal Anteil zwar nicht sonderlich viel anfangen, aber alles was rolled und grooved, das taugt ihm. Er stammt aus der Generation Morbid Angel, Obituary und Bolthrower. Er wollte Death Metal, also packte ich Death Metal in die Songs. Mit den Texten ist er (hoffe ich) auch zufrieden. Bis jetzt gab es jedenfalls ausschließlich positives Feedback von ihm. Ich will ihm auch an dieser Stelle gleich nochmal danken: Alter, wenn du das liest, ohne dich wäre die Scheibe niemals zustande gekommen! Danke für deine Ideen, Mühen und Engagement. Das Ding haben wir zusammen auf die Beine gestellt! 


UG: Respekt, man merkt dem Album jedenfalls nicht an, dass es “nur” so wenig Zeit beansprucht hat und es spricht für sich, dass du beispielsweise auf Bandcamp auf einer Stufe wenn nicht sogar über dem sehr gehypten Release von Harakiri For The Sky stehst. Hättest du mit einer SO guten Resonanz gerechnet?


Noise: Da hätte ich im Leben nicht mit gerechnet. Gerade weil ich mir selbst die Harakiri LP gekauft habe. Die Bandcamp Metalcharts für mehrere Tage anzuführen, das war schon echt ein äußerst euphorischer Moment für mich. Und jetzt sitze ich hier und bin bei einem Interview bei Undergrounded dabei. Bei mir läuft! 

UG: Zu viel der Ehre, du meldest dich wieder wenn Metal.de anklopft und nicht das kleinste Licht im Web *lacht* - Aber zurück zu dir, ich möchte nicht glauben dass da einfach jemand ohne Vorgeschichte rausgeht und in nem knappen halben Jahr ein grandioses Album rausklopft. Wie bist du zur Musik gekommen, was waren deine Einflüsse und wenn es Projekte davor gab, wie waren die aufgestellt?


Noise: Ich freue mich über jede Aufmerksamkeit oder konstruktive Kritik. Das schöne ist, dass gerade im Metal jeder die Ohren offen hat für Neues und man so gerade im Underground in den Genuss von viel Resonanz kommt. Vielen Dank für das Kompliment! Ich habe eine Musikalische Vorgeschichte, klar. Ich habe in mehreren Bands als Schlagzeuger, als Gitarrist und kurzzeitig auch mal als Sänger gedient. Aber nichts, das du auch nur ansatzweise kennen könntest. Aufgrund längerer Krankheit habe ich mich vor 5 Jahren mit dem Thema Recording sehr intensiv auseinandergesetzt. Und da ich dann auch mischen wollte, musste ich Musik produzieren. Dann führte eines zum anderen. Zu meinen Einflüssen für Kanonenfieber zählen ganz klar und unüberhörbar Bands wie Hail of Bullets, die alten Amon Amarth und 1914. Black Metal Bands wie Forteresse, Panzerfaust und Der Weg Einer Freiheit hatten auch immensen Einfluss. Vorherige Projekte gab es, da will ich jedoch keine Brücke schlagen. Kanonenfieber soll für sich alleine sprechen. 

UG: Klingtjedenfalls durch und so sehr ich z.B. heute Amon Amarth “sellout” attestiere, waren die ersten Alben doch von der gleichen erhabenen “Rohheit” wie ich sie auf “Menschenmühle” erkenne und erkennen möchte. An der Stelle will ich auch nicht lügen aber schon jetzt bekommen wir über den einen oder anderen Kanal anfragen, ob man “Die Leute hinter dem Projekt kennt” und “ob man die nicht buchen kann”, was auch nochmal für sich spricht. Da kommt selbstverständlich sofort die Frage nach den Next-Steps auf. Album, fertig, Bandcamp läuft, CD Version da. Was kommt jetzt? 


Noise: Der Sache mit dem Sellout von Amon Amarth kann ich nur beipflichten. Dennoch, Scheiben wie With Oden On Our Side oder Versus The World sind für mich heute noch absolute Machtwerke. Aber wir reden hier ja über Underground, also genug über Amon Amarth. Das ist echt Wahnsinn und freut mich sehr, dass bei dir anfragen reinflattern. Das weitere Vorgehen ist an dieser Stelle noch relativ offen. Musik ist mein Hobby und kommt natürlich nach dem 40 Stunden Job. Somit kann ich leider nicht die Intensität an den Tag legen die ich gerne hätte. Für Menschenmühle ist merchtechnisch eine LP in weiß - orange und schwarz geplant. Des Weiteren wurde ich echt oft nach Shirts gefragt. Mal sehen. Vielleicht finde ich einen guten Anbieter. Wie du schon mitbekommen hast, läuft der Vertrieb noch komplett über Bandcamp. Das Label Noisebringer Records ist gerade erst in den Startlöchern und ertrinkt gerade in einer Flut aus CD Bestellungen. Aber keine Sorge, alle bis jetzt bestellten CD‘s wurden gestern und heute verschickt. Jetzt gilt es Kontakte zu knüpfen. Ich hätte auch ein paar Leute für eine Live-Besetzung an der Hand. Aber erst mal sehen, wie das Ganze weiter läuft mit Corona und alledem. 

UG: Große Pläne und da bleibt ja fast nur noch die Frage nach dem nächsten Ding wenn sich der Staub erstmal gelegt hat! Du hast ja erwähnt dass du zumindest der Kriegsthematik “treu” bleiben willst, aber gibt es da schon Konkretes oder ist das alles noch zu weit weg?


Noise: Also grundsätzlich soll Kanonenfieber natürlich dem Namen treu bleiben. Aber mein Kumpel und ich haben uns für die nächste Scheibe ziemlich auf den 30 jährigen Krieg eingeschossen. Aber dafür werde ich mir dann doch erstmal viele Monate Abstand von Kanonenfieber gönnen. Unter dem Label Noisebringer wird jedoch noch einiges an Musik vor mir  kommen. Ich habe schon die nächste LP in der Mangel. Die ersten Songs und das Artwork sind schon in Kasten. Es wird technisch und es wird schwarz. Ich hoffe, ich kann damit auch nur ansatzweise so überzeugen, wie mit Kanonenfieber. 

UG: Traditionell ist die letzte Frage rein hypothetischer Natur: Wenn du eine Zeitmaschine hättest und deinem jüngeren “Ich” in 2010 begegnen könntest, was würdest du ihm raten/mitgeben?


Noise: Hey du langhaariger Dummsack! Wehe du hörst damit auf Gitarre zu spielen, dann knallt es! Du hast in 10 Jahren die Ehre mit Grave von Undergrounded ein Interview zu führen, also leg dich verdammt nochmal ins Zeug. Und lösche deinen verdammten World of Warcraft Account!

UG: Gerade Letzteres ist sinnig und ruiniert gerade den Release unserer neuen HP *lacht*. Dann Danke ich für den kurzen Plausch und es mögen jetzt die Waffen schweigen solange wir gespannt auf den nächsten Schlag warten.Noise: Ich habe zu danken! Das hat mir viel Spaß bereitet und ich hoffe du hattest auch eine gute Zeit dabei. Bleib gesund und bis dahin. 

Das Gespräch führten Noise von der Band Kanonenfieber/Noisebringer Records und Grave für Undergrounded.

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