Ich bin Jacks vollkommenes Defizit an Überraschung
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Ich bin Jacks vollkommenes Defizit an Überraschung

Man könnte ja fast annehmen, dass die vollkommen offensichtliche und sich seit Jahren vollziehende Wandlung der Szene noch niemand so richtig aufgefallen ist. Und Boi, haben sich die Zeiten geändert. In der (Metal)Kunst gibt es praktisch kein Geld mehr, abgesehen von einigen wenigen Glücklichen, die noch irgendwie ihren Lebensunterhalt damit verdienen können und ja, wir befinden uns meiner Meinung nach noch immer erst am Anfang dieser unfassbar an Fahrt aufnehmenden Shitshow:

  • von Grave
  • 12.05.2023

Das „plötzliche“ Ende des Bang Your Head Festivals kam wohl für viele überraschend. Naja zumindest bekommt man das Gefühl, wenn man die Kommentare und Meinungen zum Thema in den Social Media Kanälen liest. Als ich das erste Mal davon Wind bekommen habe, hatte ich noch nichtmal ein Schulterzucken mehr übrig. Nun, wenn man (wie das BYH) mit etwas wie Kultur Geld verdienen will, muss man eben die Wirtschaft und ihre Variablen berücksichtigen und diese sind überhaupt nicht romantisch oder idealistisch, wie Kunst bzw. Musik es eigentlich sein sollte. Im Gegenteil, die Wirtschaft ist schlicht brutal und sticht einem in die Eingeweide, wenn man sich nicht an deren Regeln hält.


Newsflash - auch für den letzten Dulli: Musik ist mittlerweile – und Hölle schon seit einigen Jahrzehnten – ein Massenprodukt und daran wird sich nichts mehr ändern. Unlängst haben wir aus Spaß auf Metallum geschaut, wie viele Releases in den ersten 10 Tagen des Mai aufgeführt wurden und es waren über 600 Alben, EPs und Splits. Allein im Black Metal Subgenre sind das über 200. Das sind 4,5 Tage durchgehend Musik, die für einen begrenzten Markt mit begrenzten finanziellen Ressourcen produziert wurde. Wer auf Beelzebubs gottloser Heide soll das denn bitte alles hören und – analog – auf die Unmenge an Events gehen, die selbst nach dem großen Sterben während der Hustenden Pest, immer noch Aufmerksamkeit einfordern?

Nur die Ignorantesten und Verblendetsten werden es noch von sich wegdrücken können: Gear ist billig und selbst Kreativität und Muse kann mit Technik vorgetäuscht werden, welcher der eigentlich letzte große Unterscheidungspunkt in der Vielzahl der Projekte war. Mit dem mit aller Gewalt durch die Tür drückenden Thema AI und künstlicher Intelligenz möchte ich garnicht erst anfangen, diese neue „Errungenschaft“ wird auf kurz oder lang (mark my words) einen Schlusspunkt unter jedwedes geldorientiertes Kunstprojekt setzen weil wir eine noch viel größere Schwemme unendlicher Musik erleben werden.

Das Bang Your Head ging den gleichen Weg, wie ihn alle zu teuren und völlig austauschbaren Produkte jeden Tag gehen. Es wird obsolet. Zu beliebig das Billing, zu Kommerz, zu teure Tickets + explodierende Kosten. Das sind die Zutaten die es für einen Ausverkauf und eine Insolvenz braucht, wenn man sich nicht rechtzeitig mit dem Wind dreht und an den richtigen Variablen schraubt. Wer sich jetzt totlangweilen möchte und bis hier gekommen ist, der kann auch gleich dem Link folgen und mal das PLZ-Konzept über das Produkt „Metalevent“ legen. https://de.wikipedia.org/wiki/Produktlebenszyklus
 

Man kann jetzt weinen, man kann es hassen, man kann wütend die Fäuste recken und den Fan beschuldigen, aber man wird es nicht ändern. Jeder ist frei darin den Menschen weiterhin etwas Idealistisches zu vermitteln und vielleicht wird einem ja geglaubt wenn man es schafft, sich weiter von anderen Produkten abzusetzen. Dies gilt für Bands als auch für Events. Und zum Glück gibt es noch einige wenige Events, die sich in der Nische „Idealistisch“ und „Profitabel“ positioniert haben und noch nicht von den Gesetzen des Marktes zerrieben wurden. Die wenigsten von Ihnen werden sich in der aktuellen Situation noch zu unsäglichen Scheiss- und Massenveranstaltungen wie einem Wacken oder einem Summerbreeze hochhuren, die sich damals als „First Mover“ auf dem Markt platziert haben und inzwischen wohl „too big to fail“ geworden sind (und btw. mit ihren horrenden Ticketpreisen mehr als dazu beitragen, die Sargnägel an unzählige andere Events zu klopfen). Oh, auch die Verdrängung der Konkurrenz ist der „freie“ Markt.

Das Damoklesschwert der Insolvenz wird diese „Produkte“ aber genauso wie ein BYH begleiten. Das Bang Your Head beschloss nun sein eigenes Ende und das lag, wie sie selbst sagten daran, dass es schlicht nicht mehr wirtschaftlich abzubilden war und der Kunde eine wirtschaftliche Entscheidung getroffen hat. Again, willkommen in Christian Lindners feuchter Hose.

Jeder muss für sich selbst entscheiden idealistisch und romantisch zu sein und das war und wird weiterhin mit Geld, Blut und Zeit verbunden sein. Es gibt genug idealistische Menschen, die ihr letztes Hemd geben und die diese Shitshow am Laufen halten. Aber es wird nicht mehr genug in unserer Nische davon geben, alle die damit Geld verdienen wollen, durchzufüttern. Hasse ich das? Ich weiß es nicht, denn auch im Underground wird sich Qualität durchsetzen. Ist es ungerecht? Eventuell. Jeder sollte es wirklich noch einmal überdenken, wie viel er tatsächlich bereit ist zu Opfern. Wenn man seine finanzielle Stabilität und das ganze Leben um diesen Scam herum aufbaut, wird das 99% der Menschen mit Sicherheit ruinieren, denn der Markt ist schlicht übersättigt und gnadenlos.

Fazit tl;dr: Wer es sich leisten kann, der sollte bitte romantisch und idealistisch sein und tun was er kann, um diese Ideale hochzuhalten. Denn die Kunst ist mitnichten tot. Sie ist nur oftmals beliebig und kostenlos geworden. Bekommen wir immer noch Qualität? Definitiv, man muss nur danach suchen. Bekommen wir immer noch Herzblut? Vielleicht mehr denn je! Wird man damit noch das große oder auch nur mittlere Geld verdienen können? Seltenst.

P.s Gerade kommt die Nachricht dass das INNROCKreloaded wegen schlechter Ticketverkäufe abgesagt werden musste. Ich lasse meine Schultern unten und bereite meine Kameras für das Howl In The Svn vor, das ich als wertig erachte meine nächste Aufmerksamkeit zu bekommen. Ihr seid herzlich eingeladen mit mir naiv zu sein.

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Grave

Der, der hinter den Reihen wandelt.

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