Fick dich, Fan (immer noch)
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Fick dich, Fan (immer noch)

Liebe Freunde, Kameraden, *innen, X und Genossos unter der dunklen Sonne Satans, Nödtveitds, und Cthulhu (hier fiktive böse Gestalt eurer Wahl einfügen). Wir befinden uns im Jahr 1+n der hustenden Seuche, die uns trotz Abstand, Ignorieren, Pläneschmieden, Gegendarstellungen, Impfdosen und Globuli immer noch...

  • von Grave
  • 03.05.2021

... Sorgen bereitet und ja, wir sind alle müde. Ich bin müde. Ihr seid müde. Sogar X und Y ist müde und trotzdem haben sich X, Y und ich uns an diesem vergangenen gottlosen Freitag etwas „Besonderes“ gegönnt. Ob es pure Verzweiflung, der unbedingte Wunsch nach Normalität oder auch nur banalste Langeweile war, vermag ich nicht mehr zu sagen, jedenfalls haben wir uns auf den UG TS geschwungen, um uns zu unterhalten und um zusammen an einem Live-Stream-Konzert teilzunehmen. Genauer am estnischen „Linnahell Volbriöö Konzert“, das am besten mit „Walpurgisnacht-Konzert“ zu übersetzen ist und uns drei Bands aus dem Raum Tallinn präsentierte. Namentlich Kõdu, Pime und Tharaphita in genau dieser Reihenfolge. 

Die Stimmung war gut, X hatte Importiertes aus dem Hause Dundulis, Y hatte nichts greifbar und ich hatte lecker 666 Problems (Party.San). Kurz: Wir tranken uns auf Pegel und genossen die Show, die mit jeder Band besser wurde. Ordentlich gemachte, feine, kleine estnische Schweinereien von lokalen Bands über Youtube kostenlos gestreamt und mit der Bitte, vielleicht doch die eine oder andere kleine Spende über den gemeinsam geteilten PayPal-Account zu geben. Als Großverdiener und zum Stubenhocken verdonnerter altruistischer Trottel hatte ich kurz überschlagen, wie viel Kohle ich wohl an einem Abend in „echt“ ausgegeben hätte und kam nach Abzug des Schwabengeizes auf ca. 30 Euro, die ich wohl in Sprit, Alkohol und noch einen halb angesäuselten Burger mit ordentlich Selbsthass rausgehauen hätte. Also flugs den Elektropeter angewiesen, die Bitcoins ins Bruderland zu transferieren und -da in Estland wohl niemand Vinyls produziert- gleich nochmal dieselbe Summe für Tapes rausgehauen, die ich mir in einem Anflug von Großmut selbst und X bestellte.

Während die Daumen nach jeder Band hochgingen und im Chat alle „Hails“ und „Brüder im Geiste“ und „Grüße aus England, Frankreich, Deutschland und natürlich Estland“ postulierten und der grandiose letzte Akkord von Tharaphita verklang, kam ich ins Grübeln und wieder meldete sich der kleine Schwabe im Meckel (das heißt „Kopf“, für alle dreckigen Badenser, die einer zivilisierten Sprache nicht mächtig sind):

„Was wird dieser Gig wohl gekostet haben?“ 
„Was mag über die Spenden reingekommen sein?“ 
„Was haben die Bands wohl an Merch verklopft?“

Da man ja bestens vernetzt die Hälfte der Menschen in den drei Bands schon mal persönlich getroffen und journalistische Gründe vorgeschoben hatte, war es ein Leichtes, diese recht simplen Fragen zu stellen. Natürlich war es auch „prä-hustende-Pest“ nicht ganz einfach auf seine monetären Auslagen zu kommen, wenn man Underground-Konzerte veranstaltet. Wer hätte das besser gewusst als wir, die wir schon einige GroundForce-Konzerte verrissen und bei noch jedem einzelnen finanziell hart ins Klo gegriffen hatten. Jedenfalls war die Frage: „Was hätte man wohl gebraucht, wenn man ein Konzert veranstaltet, um zumindest 0 auf 0 rauszukommen?" Auslagen für Technik und Equipment, Venue-Miete, Catering, Stagehandskohle und einen Obolus X für die Bands, die sowieso mehr über Merch machen – und was wäre ein Eintritts-/Stream-Preis gewesen, den man hätte realistisch veranschlagen können? Wahrscheinlich wäre man vierstellig rausgekommen und die Frage blieb: "Was kam denn rein?"

Und naja, was soll ich sagen. Ich war erschüttert. Auf Anfrage wurde ein sehr niedriger, dreistelliger Betrag genannt, der von den ca. 300 Zuhörenden aufgebracht wurde, und man fragt sich: „Sind das die gleichen Leute, die jeden Tag breit den Underground preisen, den Support hochhalten und sich dann aber nur den Spotify-Stream durchzwurbeln und damit zufrieden sind, die 0,0001 Cent pro Stream abzudrücken?

Nicht falsch verstehen. Der Support sieht für jeden anders aus und nicht jeder hat gerade den harten Euro im Geldbeutel, aber da draußen stirbt gerade die Musikszene und jeder, der drauf angewiesen ist, versucht alles, um um das absolut beschissene System herumzuarbeiten. Auch darf der Mainstream sterben, das hat sich nie geändert, genau wie der Fakt, dass wir gerade ins zweite Jahr der Krise rutschen und die Kohle weiter im Staat bleibt und nicht in die „Kunst“ wandert. Wo aber bleibt der halbe Euro für gut gemachte Undergroundmucke oder die Leute, die es gerade bitter brauchen? Wo bleibt der monetäre Support, den die meisten von uns leisten können, weil sie gerade sowieso zu Hause eingesperrt sind? Ja, ich bin besser als das. Ja ich kann mich arrogant hinstellen, weil ich eben mal im Alleingang mit X knapp 25% der Spenden für einen kompletten Underground Gig in Estland mitfinanziert habe, ohne mich zu sehr aus dem Fenster zu lehnen. 

Ob die Kollegen sich irgendwas davon kaufen können, wenn allein schon die Soundtechnik bei 1000 Euro liegt (die jemand privat hingestellt hat), darf mehr als bezweifelt werden. Jetzt wäre allerdings der Zeitpunkt sich nochmal selbst am Kümmerpimmel zu packen und zu schauen, wo man noch etwas für die Leute tun kann, die Zuspruch brauchen. Und ja, das bedeutet auch mit nur einem oder zwei Euros für 'nen Bandcamp-Download oder sogar mit einem Shirt oder ähnlichem echte Hoffnung zu spenden. Man möge sich überlegen, was möglich wäre, wenn sich nur jeder zweite Zuschauer bequemt hätte den Elektrobänker loszuschicken. Wider der Müdigkeit, für geile Musik. 

Der alte Mann ist raus, bis zum nächsten Aufreger!

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Grave

Der, der hinter den Reihen wandelt.

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