Von Live-Musik in der Ära Corona
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Von Live-Musik in der Ära Corona

Ein später Live-Sommer, der doch noch etwas in petto hat - das ist etwas Erholsames nach dieser langen Durststrecke, was Konzerte und Live-Musik im Allgemeinen anbetrifft. In diesem Blogbeitrag möchten wir gerne einen kleinen Kommentar und einen Erlebnisbericht in einem servieren. Es geht darum, wie man sich als Live-Musik-Anhänger und Metal-Aficionado derzeit fühlt. Es geht um ein paar Live-Events, die ich (und jetzt wechseln wir in die Ego-Perspektive) die vergangenen Wochen erlebt habe. Es geht um Abstriche. Es geht um Ängste. Es geht ums Hoffen. Vielleicht trifft es ja den einen oder anderen Nerv.

  • von Haimaxia
  • 19.08.2021

Das gewaltige Loch von 2020 - and beyond?

Okay, wo fangen wir an... Dass die Corona-Pandemie in all ihren Facetten das Leben nicht leichter gemacht hat, muss ich niemandem mehr erzählen. Wir haben alle am eigenen Leib erfahren, was die Einschränkungen mit sich gebracht haben. 2020 fand ab Mitte März ja im Grunde gar nichts mehr im Eventbereich statt, was sich nicht im Privaten oder im Illegalen abgespielt hat. Klar gab es Lichtblicke mit ein paar Veranstaltungen in deutschen Landen, die ausgerechnet im Zeitfenster September/Oktober lagen und die -wohl unter Auflagen- stattfinden konnten und Live-Musik spendeten. Man denke da nur an das Fimbul Festival auf der Schweinsburg oder das Wolfszeit Festival, welches vergangenes Jahr in Torgau am Entenfang, der Location des berüchtigten In Flammen Festivals, stattfand. Privates Gelände, weitläufig, etabliert – und so konnten wenigstens zwei Szene-Events halbwegs größerer Ausmaße über kleine Club-Konzerte hinaus stattfinden. Denn diese gab es ja auch: Ich denke da an das Death Silence mit Arroganz, für das extra Bierbänke in den kleinen Clubsaal im Helvete in Oberhausen geschafft wurden. Aber man hatte Live-Musik. Immerhin.

Unter meinen Freunden und Bekannten kam in puncto bestuhlter Metal-Gigs kürzlich die folgende Umfrage auf (Grüße an Carsten Brand):

Wie ist es, bestuhlt einem Konzert zu frönen?

a) Gut, dass überhaupt was geht

b) Mist, und lieber warten, bis es wieder normal geht

c) Bin eh betrunken

Für mich war es hier meist ein dezidiertes a) [ehrlicherweise mitunter gepaart mit einem c), man ist ja auch bloß Mensch]. Die Mosaiklösung beim Fimbul habe ich selbst nur auf Fotos gesehen (also bei der jeder Besucher vor der Bühne ein Feld eines Schachbretts zugewiesen bekommt, um Abstände zu gewähren) – und immerhin konnte man bei den Events, die ich bisher bestuhlt erlebte, ohnehin stehen, nur eben an seinem Plätzchen.

Für mich fand im Grunde seit März 2020 keine Live-Musik mehr statt, bis ich in den Sommermonaten die Open Air-Veranstaltungen am Viehofer Platz beim Café Nord, dem Don’t Panic und dem Turock in Essen gesehen habe. Mein letztes Club-Konzert war dabei auch ein eher kläglicher Musikabend. Am 11. März sah ich die Australier Sabïre, deren Frontmann Scarlett Monastyrski mit seinem Retro-Alice Cooper-Charme bestechen wollte, auf der EP „Gates Ajar“ auch ordentlich zündete, aber im Endeffekt doch in Leder, Lidschatten und Peinlichkeit verpuffte. Viel geiler waren die Kölner Galactic Superlords, die im Vorprogramm einheizten – so hatte ich den Abend doch noch positiv in Erinnerung, zumal ich mir noch während des Gigs am Merch-Stand die letzte Vinyl ihres s/t-Debüts mitsamt der Unterschriften aller Bandmitglieder sichern konnte. Mein letzter Black Metal-Gig war dann wohl auch bereits Anfang Februar und das war die starke Karg-Tour gemeinsam mit The Spirit, Groza und Ancst, ebenfalls im Helvete. Danach war die Zeit geprägt von vielen traurigen Absagen. Erst waren wir noch alle blauäugig und gingen davon aus, dass das Haus und Hof-Festival, das Dark Troll 2020, im Mai schon noch stattfinden würde, da die Corona-Einschränkungen gewiss nur ein paar Wochen greifen würden. Wie sagt man so schön: The rest is history.

Mir ist bewusst, dass darüber zu trauern, dass Live-Musik und damit ein Luxusgut für mich als Konzertgänger entfällt, eigentlich Jammern auf hohem Niveau ist. 

Deshalb jammerte ich letztes Jahr nicht. 

Ich jammere auch heute nicht. 

Aber natürlich ist die Enttäuschung über immer wieder verschobene Events und Absagen groß, wenn man seine Freizeit doch sehr damit gefüllt hatte. Ich war die vergangenen Jahre im Prinzip mindestens monatlich auf einem Konzert oder Festival. Da fehlt dann auf einmal ein integraler Baustein. Aber ich hätte mich nie weit aus dem Fenster gelehnt und mich darüber echauffiert, dass mein Hobby und meine Leidenschaft gerade effektiv nicht stattfindet, wenn es Menschen gibt, die sterben, wenn es Menschen gibt, die Todesfälle in ihrem unmittelbaren Familien- und Bekanntenkreis zu vermelden haben, Menschen, die ihre Existenzen verlieren, da sie in den finanziellen Ruin geraten sind und Menschen, die jetzt mit den Folgen einer Covid19-Erkrankung oder den psychischen Folgen der Lockdowns zu tun haben (etwas, das gerne ausgeblendet wird). Ich mache aus meiner bescheidenen Perspektive keinen Hehl daraus, dass ich Horrorstories in meinem Umfeld gehört habe, die mich die Maßnahmen im Allgemeinen haben verstehen lassen. Man schweigt dann eher ob seiner dahingehend verblassenden Probleme, denn ich hatte das Glück von Corona weitgehend verschont geblieben zu sein und konnte weitgehend im Home-Office arbeiten. Mein persönlicher Einschnitt ist gegen all das ohne Gewicht. Dass die Kultur in all ihren Ausprägungen aber gelinde gesagt die Arschkarte gezogen hat, haben wir alle gesehen, wenn es um Spendenaktionen und Aufrufen zum Merch-Kauf seitens diverser Bands, Labels und Venues ging. Plattenläden litten und leiden – und wenn du nicht gerade Metallica oder Slipknot heißt oder im Pop-Mainstream schwimmst, ist man als Berufsmusiker auch eher auf Glatteis. Von den Veranstaltern, den Technikern und dem Personal, das hinter allem steht, will ich gar nicht erst anfangen, ebensowenig von den Hilfsgeldern, die entweder zu klein ausfielen, zu spät kamen oder man nicht ins Raster fiel.

Sir Hannes, Idiots Records Dortmund

Mit einer Gänsehaut habe ich die Goreminister-Doku “Das Böse Wort mit C” (Teil I & Teil II) gesehen, oft genug thematisierten wir die Situation in unserem 2020 aus der Taufe gehobenen Untergraben-Podcast, ich verfolgte Sir Hannes vom Idiots Records-Shop, wie er “Es brennt, Leute!” in die Kamera schrie. Mit einem Tränchen im Auge las ich Ende 2020, dass das Blackend in Dortmund sich im Überlebenskampf geschlagen geben musste. Es sind Momente, die verblassen, wenn man in Kriegs- und Katastrophengebiete schaut und man schämt sich, zu formulieren, dass einem diese Dinge nahe gingen, während gleichzeitig Krisenherde in aller Welt toben. Ich hoffe, man darf das trotzdem so formulieren.

Dass viele Events auf 2021 verschoben wurden, teils jetzt auch schon wieder auf 2022 (oder wie beim Way of Darkness sogar auf unbestimmte Zeit pausiert), ist und bleibt ernüchternd. Auf die eben erwähnten anderen, in Bezug auf die ausgebliebene Kultur direkt an Leib und Leben rührenden Problemstellungen, gehe ich nicht weiter ein. Ich kann keinen Kommentar abgeben zu den Entscheidungen in der Politik. Ich kann für meinen Teil sagen, dass ich hinter Wissenschaft und Technik stehe und das immer schon getan habe. Ich habe Respekt davor, dass die Situation uns alle kalt erwischt hat, dass man Vorsicht statt Nachsicht walten lassen wollte und dass niemand die Weisheit mit Löffeln gefressen hat. So ist es in der Wissenschaft und in der Politik gleichermaßen: Man irrt sich empor. Hier soll es nur um einen kleinen Blickwinkel eines Metal-Fans gehen, der gerne über Musik spricht und schreibt und für den Live-Musik ein wichtiger Bestandteil seines Lebens ist.

Von Lockdown #2 in die Live-Renaissance - Die höllische In Flammen-Gartenparty in Sachsen

Komisch ist es in ganz besonderer Weise, wenn man auf seinen Stapel Eintrittskarten starrt, der sich in der Schublade häuft und häuft. Das geht bei mir bei Festivaltickets fürs Culthe Fest und der Wintermelodei -beide im schönen Münster- los, über Tickets fürs Party.San, das Dark Troll, das Under The Black Sun, bis hin zu Rammstein-Tickets für 2020, die ich verrückterweise bereits Anfang 2019 erworben hatte. Hättet ihr euch ausmalen können, jemals Tickets für ein Event zu kaufen, welches erst 2022, also fast dreieinhalb Jahre später stattfinden wird (hoffentlich)? Werden Events mit fünfstelligen Besucherzahlen überhaupt wieder so stattfinden, wie wir es kannten?

Ich wische ebenfalls eine Träne von meiner Karte fürs In Flammen 2020, wo der gute Thomas ja zumindest wie in diesem Jahr auch den Fans bot, an einer höllischen Gartenparty teilzunehmen und quasi ein Festival ohne Festival zu erleben. Außerdem hatte ich mich sehr gefreut, gemeinsam mit Marduk die evangelische Kreuzeskirche in Essen am 4. Dezember mit Blut und Schweiß zu entweihen, da steckten wir schon im zweiten Lockdown. Der Gig soll diesen Herbst im Turock nachgeholt werden. Und so wirkt es fast lachhaft zu hören, dass eine Band wie Hämatom ihr 2020 verschobenes Anniversary-Event jetzt erst 2024 feiern will. Begründung: Wenn wir schon nicht unser zum 20-jährigen Jubiläum ins Leben gerufene Jahres-Event feiern können, starten wir eben zu unserem 25-jährigen einen neuen Anlauf. Tickets bleiben gültig. Welch eine bittere Ironie, der man nur mit Galgenhumor begegnen kann.

Ich hatte aus Respekt vor den Bands und Veranstaltern bislang nicht mit dem Gedanken gespielt, Tickets zurückzugeben. Die Erfahrungen damit reichen aber aus Erzählungen in meinem Umfeld von ernüchternd bis haarsträubend. Während die Abwicklungen bei manchen Festivals noch von bürokratischen Hürden, aber zumindest von einer gewissen Selbstverständlichkeit in der Rückerstattung der Ticketpreise geprägt waren, sitze ich auf nun auf einem 150€-Gutschein beim Capitol-Theater Düsseldorf, da man sich bei Musical-Ticketkäufen den Verlust sparen wollte und lieber darauf setzt, dass der Käufer eines Tages schon wieder ein neues Event findet, und wenn es erst 2023 oder gar 2041 ist. Immerhin scheint der Spaß ohne Verfallsdatum zu sein. Ich bin mir sicher, dass eine ähnliche Policy bei kleineren Veranstaltern einen gehörigen Shitstorm ausgelöst hätte. Aber der Gedanke daran, dass die Tickets ihre Gültigkeit behalten, sollte eigentlich genug sein. 

Jetzt beleidigte Leberwurst spielen und alles zurückzugeben, ist kontraproduktiv

Bei komplett abgesagten Touren ist das noch eher verständlich, aber auch hier sollte man abwägen, der Szene nicht etwas zurückzugeben. Ich selbst spende auch lieber einen kleinen Obolus als Investment in eine ungewisse Zukunft.

Auch der zweite Lockdown war durchsetzt von persönlichen Abstrichen: Es roch ja danach, dass es im Frühjahr 2021 wieder besser würde. Die Impfkampagne leuchtete am Horizont auf. Man schaute geknickt, aber noch ein wenig hoffnungsfroh gen Sommer. Aber auch hier zeichnete sich früh ab, dass in der ersten Jahreshälfte noch nichts gehen würde. Es half nichts – man freundete sich damit an, dass alles erneut um ein Jahr verschoben würde, dass man erneut seinen Festival-Zirkel „nur“ auf der Gartenparty am Entenfang in Torgau sehen würde. Aber im Juni fanden schon wieder kleine Konzerte statt. Es hatte etwas von einem Befreiungsschlag, wenn ich Leuten aus meinem engeren Kreis zuhörte, wie sie davon schwärmten, auf einem kleinen Schützengelände im westfälischen Werl die Jungs von Wheel gesehen zu haben. Man fühlte sich wieder etwas besser, im Wissen, dass Live-Musik nicht tot ist, dass es bergauf geht.

Dann der schönste Moment meines Sommers bisher: Kaum auf dem In Flammen-Gelände angekommen, postete Veranstalter Thomas, man solle sich doch am Freitagnachmittag nach dem Zeltaufbau und den ersten Bierchen an der Bühne versammeln. Wo man noch am Freitagmorgen im Glauben ein bloßes, zünftiges, feuchtfröhliches Partywochenende mit Musik aus der Box zu erleben gen Leipzig ins Auto stieg, durfte man sich nun doch über Bandbeschallung freuen.

Sarmoung Ensemble / Paganland, In Flammen Gartenparty 2021, Foto: Carsten Brand / brandlicht

Zunächst ging es mit okkulter Stimmung los, als das Sarmoung Ensemble aka Paganland um die berüchtigten Black Metal-Perser Lord Magus Faustoos und Charuk Revan auf der Bühne ein düsteres Akustik-Set präsentierte. Während man energische, blasphemische Zeilen und inbrünstige „Shaitan“-Rufe ins Mikro brüllte, sich auf den Trommelwerken in Rage prügelte und im Hintergrund eine erotische Selbstgeißelung mit viel nackter Haut geschah, war noch nicht so ganz klar, dass es an diesem Wochenende doch eine kleine, aber feine Auswahl von 8 überwiegend aus Sachsen und den angrenzenden Bundesländern angereisten Bands geben sollte. Und was war das für ein Dammbruch, für eine Entfesselung von Freude, als Pure Massacre auf die Bühne kamen und mit ihrem Death Metal-Reißfluss alle vor der Bühne mit sich nahmen? Für die meisten war es das 1. Konzert seit über einem Jahr – und man hat es gemerkt. Mit der Kritikerbrille unter Nicht-Corona-Bedingungen hätte man vielleicht gesagt, dass Pure Massacre mit Sicherheit nicht das Rad neu erfunden haben. Man hätte bemängelt, dass vieles, was die Sachsen-Anhaltiner mitbrachten, eher ohne große Schnörkel und Überraschungen war. Aber, bei allem, was lieb und teuer ist: Diese Minuten vor der Bühne zu verbringen, unter dem Mühlstein der Reibeisen-Vocals und der guten Stimmung, die Michael Pflug am Mikro verbreitete, unter allen headbangenden Leuten, mal im kleinen Circle Pit, mal am Rand mit dem Bier in die Luft gestreckt. Das war schön. Das war ein Erlebnis an diesem Wochenende – da werde ich mich noch in vielen Jahren genau dran erinnern, wenn nicht sogar niemals vergessen.

Pure Massacre, In Flammen Gartenparty 2021, Foto: Nicole Nietzel

Am selben Tag standen noch die Dresdner Melo-Death-Doomer Gorleben auf der Bühne, die höchstens Leuten aus Sachsen schon ein Begriff waren (ihre Debüt-EP verteilten sie gleich nach dem Gig unter dem Volk), sowie die Thrash-Combo M.A.D. – und was Veranstalter Thomas seinen treuen Schäfchen da bescherte, war wie ein bitter nötiges, aber punktgenau geliefertes, wunderschönes Geschenk. Auch am 2. Tag hauten Khnvm um den aus Bangladesch stammenden Musiker Obliterator dem Publikum ihren rohen und aggressiven Death Metal um die Ohren (nach dem großartigen Querflöten-Intro mit schiefen Tönen und zwei Grunzern von Thomas höchst selbst), Ad Cinerem spendierten ihren getragenen Sound und Cytotoxin sorgten auf der Bühne mit ihrem Tech-Death-Cocktail für radioaktive Verbrennungen. Als Finale gab es noch die Hypocrisy-Coverband Chaos and Confusion on top. Sogar ein Festivalbändchen hatte man mal wieder am Arm - ein inoffizielles hatte ich bereits, nachdem wir vergangenes Jahr bereits im privaten Rahmen unser Roc(k)orona Hard 2020 mit eigenen Bändchen im Garten feierten. Corona-Bedingungen fielen zu diesem Zeitpunkt Anfang/Mitte Juli in Sachsen auch eher milde aus, hatte der Freistaat erst zu Monatsanfang große Lockerungen in petto. Es reichten Hygienestationen auf dem Gelände und für die Kontaktnachverfolgung musste reserviert werden. Testpflicht bestand nicht für Veranstaltungen unter 1000 Besuchern. Maskenpflicht? Ebenfalls Fehlanzeige. Ob das gut oder schlecht war, vermag ich nicht zu beurteilen. Mein 1. Festival, das sich wie ein Festival anfühlte, so richtig mit Camping und Zelten, fand nach einer Durststrecke von fast 2 Jahren statt. Im Grunde also 2 Jahre nach dem In Flammen 2019. Und es war gut.

Cytotoxin, In Flammen Gartenparty 2021, Foto: Nicole Nietzel

Von versteinertem Publikum und NRW-Sitzkonzerten - Junkyard Sommerbühne und Tombstoned Fest

Die Euphorie um Live-Musik ebbte danach nicht ab. Am Viehofer Platz in Essen begannen wieder die Open Air-Konzerte, die sich durch diverse Genres zogen: Es ging von Rockabilly-Punk bis Götz Widmann, ich durfte den Krachmucker-Ernie und Micha El-Goehre mit ihrem "Schnack Ör Die"-Programm auf der Open Air-Bühne der Weststadthalle Essen sehen, das Dortmunder Junkyard -sonst eher sparsam mit Metal-Gigs- lud erst Anfang dieses Monats die polnische Instanz Vader ein und das Tombstoned Fest mit Ahab, Slaegt, Carnation und Heretic Warfare stieg vergangenen Sonntag an selbiger Location im Rahmen der Junkyard-Sommerbühne. (Dass sonst nicht sooo viel Metal im Junkyard "passiert", merkte man an der Musik, die zwischen den Bands gespielt wurde. Zwischen Reggae-Klängen und ätherischem Techno lief, kurz bevor sich der Vader-Support Skaphos aus Frankreich auf der Bühne einfand, erstmal Totos "Africa". Skurril, wenn sich die Jungs mit Corpsepaint und zerrissenen Klamotten wie Schiffbrüchige gerade für ihre maritime Death Metal-Tauchfahrt bereit machten, die Besucherschaft aber den Refrain “It's gonna take a lot to drag me away from you” anstimmte.)

Status Juli/August gab es ja nun auch insgesamt schon sehr viele Besucher, die mit doppelter Impfe und ihrem Zertifikat anreisten - für sie waren die Hürden wohl am geringsten. App öffnen, scannen, Abend genießen. Für alle anderen hieß es weiterhin: Testen, testen, testen. Man kann nicht mehr wie früher auf Abendkasse spekulieren oder mit seinem Ticket ohne Vorplanung anreisen, wenn man nicht gerade in die drei Gs gehört. Leider müssen die Venues da auch strikt handeln, wenn beispielsweise der Impfschutz noch nicht zwei Wochen aufrecht ist, und einen enttäuschten Fan ohne tagesaktuellen Test heimschicken, auch wenn die Regelung bekannt sein dürfte. Sucht man an einem Sonntag spontan ein Testzentrum, wenn man ohne Auto unterwegs ist, kann man auch schon mal viel Zeit verlieren und kommt zu spät zum Event. Die Maskenpflicht kann man nervig finden - immerhin gilt es, dass man diese an seinem zugewiesenen Platz absetzen darf (sonst könnte man ja auch nicht saufen). Als die Lichtburg in Essen öffnete und ich zur Premiere des Films “Der Rausch” Mitte Juni im Kino war, war noch geboten, dass selbst auf dem Sessel die Maske getragen werden musste.

Aber wie beurteilt man diese Bierbankkonzerte nun? Bei Ernies Lesung fühlte es sich okay an. Aber bei Vader? Man merkte, dass das Publikum Bock hatte, aber glaubt ihr, man wäre mal aufgestanden? Erst zur Zugabe mit "Send Me Back To Hell" stand ein Großteil, da halfen motivierende Sprüche von Frontmann Piotr "Peter" Wiwczarek zuvor wenig. Aber immerhin dürfte es die Band gefreut haben, am 3.8. ihr erstes Konzert außerhalb Polens innerhalb beinahe eines Jahres zu geben. Und es gab ja auch was zu feiern, brachten sie ja pünktlich Ende Juli auch ein Remaster ihres 1995er Opus "De Profundis" heraus, von dem auch einige Stücke präsentiert wurden.

Beim Tombstoned Fest war das Publikum traurigerweise noch verhaltener. War es zwar um 18 Uhr zu Beginn noch nicht so voll, konnten sich Heretic Warfare auf den Kopf stellen, doch im Publikum geschah wenig. Gleich nach dem Opener-Stück hatte Frontkehle Jan Wiltschut aufgerufen, sich hinzustellen, zu headbangen, warm zu werden, er mahnte an, man wäre doch auf einem Metal-Konzert - doch musste irgendwann unweigerlich den Kopf schütteln auf der Bühne. Solide Show, aber das Gesehene schien kaum Reaktion hervorzurufen. Ich kannte die Jungs kaum, aber verspürte dann doch Fremdscham,  weil niemand sich bequemte, und konnte daran nichts ändern. Gut, dass man in der 1. Reihe einfach aufsteht, während alle hinter dir sitzen, ist nicht besonders höflich. Gleichwohl waren wir nicht in einer Philharmonie und so eine Etikette gehört weniger zu einem Metal-Event. Als eröffnende Band hat man es ja immer etwas schwerer - aber ein derart vereistes Publikum hatten Heretic Warfare mit ihrem straight-forward-Sound nicht verdient. 

Woran lag das? 

Haben wir alle in anderthalb Jahren verlernt, wie man Musik genießt? Haben wir verlernt, dass man auch Vorbands und Einheizern durchaus mal Tribut und Dankbarkeit zollen darf? Bei Carnation war es dann voller, man taute auf. Trotzdem: Rigides Publikum. Und ich zähle mich da schon mit - meine Ausrede ist aber, dass Teile des Undergrounded-Teams sich den Freitag und Samstag mit Alkohol quasi von innen balsamiert hatten, als wir gemeinsam mit Lior Delman und dem Hole In The Svn-Team in Kassel Stühle verbrannten und die Goldgrube leertranken. Da steckte womöglich ein bisschen Müdigkeit in den Gliedern, ich gestehe es, vor allem, wenn man vorher noch auf der Wilhelmshöhe wandern war.

Ahab, die den Headliner-Posten an die viel zu spät aus Kopenhagen eingetroffenen Slaegt abgaben, machten einiges wieder wett. Meine Truppe stand auch geschlossen auf, immerhin waren Teile von uns quasi für Ahab angereist. Noch in der Abenddämmerung hatte es etwas, endlich mal wieder den Doom-Sound der grandiosen Heidelberger zu sehen. Schließlich war man nach dem 2020 erschienen Live-Mitschnitt "Live Prey" doch angefixt. Aber auch hier stellten sich nur wenige hin. Stimmung und Atmosphäre wie bei einem Club-Gig von Ahab (ich denke da gerne ans Lükaz Lünen zurück, müsste grad aber ehrlich googlen, ob es 2012, 2013 oder 2014 war) kamen indes nicht auf. Wo sonst Band und Publikum eine Einheit bilden und wie eine stehende Welle beim Auf und Ab agieren, war hier nicht viel zu sehen. Eine starke Setlist war es aber allemal, nicht nur gab es mit "Further South" den wuchtigen Opener von "The Giant", man wartete auch mit "Antarctica The Polymorphess", einem meiner persönlichen Favoriten, auf. Das finale "The Hunt" vom Erstlingswerk ist ebenfalls eine unglaubliche Live-Erfahrung. Einzig von "The Divinity of Oceans" wurde kein Song gespielt, ausgerechnet der Platte, mit der ich Ahab kennen und lieben lernte, und die ich mir an dem Abend endlich auf auf Vinyl gegönnt hatte.

Als Slaegt dann kurz nach 21 Uhr nach fast 10 Stunden Anreise (so munkelte man) loslegten und die Hypnose von Ahab abschüttelten, zeigte das Publikum doch noch mehr Feierlaune und stand größtenteils auf. Was für eine Party plötzlich da stieg, stand naturgemäß in krassem Kontrast zu Ahabs Doom-Erdrutsch, aber war vielleicht sogar gar nicht schlecht in dieser Reihenfolge. Nur, dass Slaegt nach fast 40 Minuten schon pünktlich um 22 Uhr abbrechen mussten, war wieder ernüchternd. Trotzdem: Den Ruf einer hervorragenden Liveband haben die jungen Dänen zu recht inne, konnten sie mit ihrer unbändigen, mitreißenden Art und ihrem eigenen Sound zwischen räudigen Black Metal-Vibes, Heavy Metal-Allüren und Rock'n'Roll-Esprit echt noch einmal dem Tombstoned Fest die Krone aufsetzen. Sogar neues Material wurde präsentiert - und ich ging begeistert heim.

Ahab, Tombstoned Fest 2021, Foto: privat

Ein Blick in die Zukunft

Und nun in der Folgewoche harrt man noch weiteren Events entgegen: Ich für meinen Teil freue mich sehr auf das UTBS 2.0, pardon, das Label-Fest von Folter Records zum 30-jährigen Jubiläum Anfang September (auch hier gab es schon Abstriche, konnten die Kubaner Narbeleth schon jetzt prognostizieren, dass die Anreise unmöglich sein wird), das Prophecy Fest in der Balver Höhle die Woche darauf und noch einen weiteren Gig aus der Sommerbühnen-Reihe des Junkyards mit (Dolch) und den Evil Warriors. Trotzdem ist der Blick auf die Inzidenzwerte diese Woche schon wieder ein Dämpfer. Sollte man eher pessimistisch sein? Das Prophecy Fest war aufgrund des 2-Jahres-Zyklus 2020 von keiner Absage betroffen, aber für dieses Jahr kann das im Worst Case ja noch passieren. Die nahe Zukunft wird es zeigen.

Angesichts dieses Textmolochs bleibt die Quintessenz: Live-Musik ist in welcher Form auch immer etwas Essentielles. Ich könnte verstehen, wenn mir jemand klipp und klar sagt, dass für ihn die Antwort zu eingangs erwähnter Umfrage nach den Sitzkonzerten lautet, dass er abwarten wolle und dass für ihn Live-Gigs mit festen Plätzen nichts seien. Überhaupt, wenn man sich eher in den Rock-, Metal- und Core-Spielarten tummelt, die von Moshpits leben, bei denen es zum guten Ton gehört, dreckig und/oder blutig heimzukriechen… klar, dann ist das nicht dasselbe. Im Black Metal geht das Abgehen vor der Bühne ja selten über Headbangen hinaus. Im Allgemeinen würde ich schon anprangern, dass zu viele Besucher, die ich in letzter Zeit bei den Sitzplatzkonzerten erlebt habe, irgendwie gehemmt sind, wenigstens vom Sitzplatz aus abzugehen. Dass man anscheinend nicht den Willen hat, der Band unter allen Widrigkeiten ebenfalls eine gute Zeit zu spendieren... Mehr denn je habe ich das Gefühl, als Besucher auch den Menschen auf der Bühne etwas geben zu wollen, jetzt, wo Live-Musik lange keine Normalität war. Normalität fühlte ich in Torgau in ganz besonderer Weise - und ich ertappte mich, an dem Wochenende das Thema Corona mal ganz zu vergessen. Das sage ich aber als Nostalgiker alter Zeiten, nichts als querdenkender Systemkritiker. Ich verstehe Frust. Ich verstehe die Ängste. Ich verstehe aber gewiss keine Wissenschaftsignoranz. Als Physiker gehe ich da wohl auch mitunter zu mathematisch-analytisch heran, wenn mich Zahlen und Wahrscheinlichkeiten eher in Sicherheit wiegen, als andere.

Wie begegnet man dann Leuten, die die Augenbrauen hochziehen, wenn man begeistert von Live-Konzerten erzählt, da die Pandemie ja noch nicht vorüber ist? Mache ich mich damit unglaubwürdig, wenn ich sage, ich nehme Corona ernst, gehe aber trotzdem zu Veranstaltungen? Ganz unbeschwert wäre ich bei den Fußball-Events des Sommers definitiv nicht gewesen, wenn ich jetzt Anhänger des Ballsports wäre und unbedingt die deutsche Elf hätte anfeuern wollen - oder wenn jetzt doch Groß-Events à la Party.San und Summer Breeze stattgefunden hätten, bei denen vier- bis fünfstellige Besucherzahlen zugegen sind. Aber bei diesen kleinen Konzerten, muss ich da ganz entschieden sagen: Gut, dass diese stattfinden und möglich gemacht werden. Ganz ohne Live-Musik geht es eben für mich nicht. Und bei kleinen Events wie hier sehe ich das weniger kritisch. Man darf aber auch gerne darüber mit mir diskutieren.

Trotzdem blicke ich mit einer gewissen Angst in die Zukunft, dass erneut die Konzertlandschaft erschüttert wird. Dass wir uns in einer Spirale befinden. Eine letztendliche Lösung kann ich nicht präsentieren. Besuchen wir das, was an Live-Events geht. Machen wir diese weiterhin möglich, indem wir uns vor Augen führen, dass das Pandemie-Hickhack noch nicht vorüber ist, aber das nötigste tun, um die Zahlen niedrig zu halten. 

Ich möchte uns allen zurufen: Seien wir optimistisch. Seien wir hoffnungsvoll. Auch wenn das überhaupt kein Black Metal-Spirit ist.

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Haimaxia

He whispers, when the demons come. Do you make peace with them or do you become one of them?

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